Das Alten- und Pflegeheim der Brüdergemeine in Königsfeld ist nach Christoph Blumhardt benannt. Wer war dieser Mann?
Christoph Blumhardt wurde am 19. Juni 1842 in Möttlingen (Bad Liebenzell) geboren. Sein Vater, Johann Christoph Blumhardt (1805-1880), war ein außergewöhnlicher Seelsorger. 1852 zog die Familie nach Bad Boll (Kreis Göppingen), das Johann Christoph Blumhardt mit Hilfe von Freunden erworben hatte. Seit 1862 studierte sein Sohn Christoph Theologie in Tübingen. Nach dem Vikariat in verschiedenen Gemeinden und dem zweiten Examen wurde er 1869 als Pfarrer zur Unterstützung seines Vaters nach Bad Boll berufen.
Beiden Blumhardts war gefühlige Glaubensseligkeit fremd. Sie wollten Zeugen eines Glaubens sein, den allein Gott schenkt und der das Leben des Einzelnen und der Gesellschaft von Grund auf verändert. Nach ihrer Überzeugung galt Gottes Liebe allen Menschen, gleich welcher Nation, Religion, Konfession oder gesellschaftlicher Stellung.
Die Botschaft dieser Liebe wies Christoph Blumhardt Ende des neunzehnten Jahrhunderts immer stärker auf das soziale Elend einer weitgehend rechtlosen Arbeiterklasse, die stetig zunahm. Das Bürgertum verachtete die besitzlosen Proletarier. Die Amtskirchen sahen der Entwicklung im Wesentlichen tatenlos zu, zumal Atheismus und Kirchenfeindlichkeit in der organisierten Arbeiterschaft weit verbreitet waren. Aber es gab auch Ausnahmen im Protestantismus: Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910, Gründung von Bethel) und Theodor Fliedner (1800-1864, Diakonissen-Mutterhaus Kaiserswerth) gehörten zu ihnen.
Christoph Blumhardt war von ihrer Arbeit beeindruckt. Er fand: „Das Seufzen der Armen muss einen Mund bekommen, und wir müssen den um ihre Menschenrechte schreienden Armen Recht geben.“ Die Vorlage eines Gesetzes „Zum Schutz des gewerblichen Arbeitsverhältnisses“, das bereits die Aufforderung zur Arbeitsniederlegung unter Strafe stellen wollte, rief in der Arbeiterschaft Unruhe hervor. Blumhardt entschloss sich, der Arbeiterschaft beizustehen: „So ging ich am 19. Juni 1899, ohne mich zu besinnen und ohne jemand zu kennen, nach Göppingen in eine Veranstaltung der Arbeiter und wurde von Unbekannten freundlich aufgenommen.“ In einer Versammlung am 24. Oktober 1899 bekannte sich Blumhardt zum „Sozialismus“. Am nächsten Tag berichtete eine Göppinger Zeitung über „Pfarrer Blumhardts Bekenntnis zur Sozialdemokratie“: Blumhardt trat in die SPD ein.
Ein Proteststurm brach los. Die Kirchenbehörde legte Blumhardt nahe, auf Titel und Amt eines Pfarrers der württembergischen Kirche zu verzichten. Er kam der Aufforderung nach. Angehörige des Bürgertums wandten sich von Blumhardt ab. Im November 1899 erläuterte er in einem „Antwortschreiben an seine Freunde“ seinen Eintritt in die Partei: „Ich musste der arbeitenden, heute nach Millionen zählenden Klasse die Hand reichen, und unter diesen Millionen der Partei, welche die Massen heben, bilden und zur Geltung bringen will. Ich reichte die Hand dar als der, der ich bin, als Nachfolger Christi (…) Hier wird Gott nicht geleugnet, jedenfalls nicht mehr, als in allen anderen Ständen und Klassen. (…) Wenn nun der Sozialismus heute auch das Ziel hat, dass jedermann gleiches Recht ans Brot bekommt, dass die Eigentumsverhältnisse sich so gestalten müssen, dass nicht das Geld und der Besitz, sondern das Leben der Menschen die höchste Bedeutung bekommt, warum soll das ein verwerfliches Umsturzverlangen sein? (…) Allgemein fast sagt man mir, Christus habe nur geistig trösten wollen, helfen und ins Jenseits überführen wollen. Das leugne ich aufs allerentschiedenste. Ja sehe in dieser Anschauung die Ursache, dass das Christentum in entscheidenden Momenten dem geistlichen und materiellen Fortschritt hindernd in den Weg getreten ist (…)“ Allerdings: „Wahre Hilfe bringt nur das von Christus angekündigte Ende.“
Blumhardt kandidierte bei den Landtagswahlen und war 1900 bis 1906 Mitglied des württembergischen Landtags. Obwohl ohne sozialdemokratischen „Stallgeruch“, war er in seiner Fraktion hoch geschätzt. Blumhardt empfand bald, dass er im Parlament nicht genügend als Zeuge Christi wirken konnte. „Auch ahnt der Arbeiter schon, dass, wenn ihm auch alle Rechte würden, ja die Gewalt in die Hände des Proletariats käme, dann nur neue Qual käme. Es muss also Gottes Zeit und Nahrung kommen, die den Menschen unabhängig machen kann vom Menschen.“ Auch aus gesundheitlichen Gründen verzichtete Blumhardt auf ein zweites Mandat und zog sich von Bad Boll nach Jebenhausen bei Göppingen zurück, wo er am 2. August 1919 starb. An seinem Grab sagte ein prominenter Sozialdemokrat: „Dieser Mann gehörte wohl zu uns, aber er stand hoch über unserer Partei. Er hieß Christoph, Christopherus aber heißt Christusträger. Er hat versucht, Christus über den breiten Graben, der uns von den Bürgerlichen trennt, zu uns herüberzutragen, und das werden wir ihm nie vergessen.“ Ein Vertreter der Kirchenbehörde war zu Blumhardts Begräbnis in Bad Boll nicht erschienen.
Text: Helfried Glitsch, Foto: HMH-Bildstelle
Quellen: Jäckh, Werner: Blumhardt Vater und Sohn und ihre Welt. J.F. Steinkopf Verlag Stuttgart, 1877.
Lejeune. R. (Hrsg.): Christoph Blumhardt und seine Botschaft. Rotapfel-Verlag Erlenbach-Zürich und Leipzig, 1938.
Thurneysen, Eduard: Christoph Blumhardt. Zwingli Verlag Zürich/Stuttgart 1962.